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Der Pizzakanzler und seine Fettnäpfchen-Tirade

Christian Kern mit Mikrofon
© Manfred Werner | Vor seinem Dasein als Bundeskanzler war Christian Kern Vorstandstvorsitzender der ÖBB

Christian Kern hat es nicht leicht: erst übernimmt er die marode SPÖ und kaum ist er im Amt werden auch schon wieder Neuwahlen angesetzt. Sein Versuch, die Zusammenarbeit der Bundesregierung zu retten scheiterte. Was Kerns Arbeitsstil auszeichnet, was die größten Kritikpunkte sind und wo er sich politisch im Vergleich mit seinen Mitbewerbern positioniert, erfahren Sie hier.

 

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Keine der beiden Regierungsparteien - weder die ÖVP, noch die SPÖ, konnte in den letzten Jahren wirklich mit Kontinuität und Beständigkeit auftrumpfen, was ihre Obleute anbelangt. Was dabei auffiel: Beim regelmäßigen Bäumchen-wechsle-dich-Spiel der Parteispitzen waren es in der Vergangenheit immer altbekannte Gesichter, die das Ruder übernahmen. In der ÖVP gehörten sowohl Wilhelm Molterer, als auch Josef Pröll, Michael Spindelegger, Reinhold Mitterlehner und Sebastian Kurz zu den prominentesten Mitgliedern ihrer Partei und bekleideten Ministerposten, bevor sie das Heft in die Hand nahmen. 

Auch Werner Faymann war kein Unbekannter, als er Alfred Gusenbauer als Bundeskanzler nachfolgte: er war vorher als Infrastrukturminister tätig.

Bundeskanzler: Der undankbarste Job der Nation

Doch von diesem Kurs entfernte sich die SPÖ 2016, als Werner Faymann als Bundeskanzler zurücktrat und statt seiner der bisherige ÖBB-Vorstandsvorsitzende Christian Kern die Parteiführung, sowie den Posten des Regierungschefs übernahm. Trotz seiner langjährigen Managertätigkeit war Kern seit seiner Studienzeit aktives SPÖ-Mitglied. Kern legte die Latte während seiner Antrittsrede hoch: Er thematisierte den bisherigen Kurs der Bundesregierung, der durch die Konflikte und Uneinigkeit der Regierungsparteien geprägt war und kündigte einen Kurswechsel an.

Als studierter Publizist, der langjährig in den Medien tätig war, weiß Kern, wie er sich verkaufen muss. Und so legte er von Beginn an das Image fest, welches er der Wählerschaft vermitteln wollte: Den modernen Bundeskanzler mit Managererfahrung und Hands-on-Mentalität.  Kern scheut auch nicht vor flapsigen Aussagen und Selbstironie zurück - so machte er ein Bild aus einer ÖVP-Broschüre, auf dem sein Kopf mit Hammer und Sichel (dem Symbol des Kommunismus) abgebildet war kurzerhand zum Profilbild seiner öffentlichen Facebookseite.

Doch Kern konnte nicht verhindern, dass das Klima der Koalition zunehmend frostiger wurde und schließlich, nach nur einem Jahr Kanzlerschaft, von seinem Widersacher Sebastian Kurz Neuwahlen ausgerufen wurden.

Ein altbekanntes Phänomen: Politiker, die auf das Image des Systemerneuerers setzen, schrauben die Erwartungen so hoch, dass sie nur daran scheitern können: Das bekannteste Beispiel ist der ehemalige US-Präsident Barack Obama. Und als Bundeskanzler einer Koalition zweier Parteien die sowohl inhaltlich als auch ideologisch diametral auseinander liegen, steht man auf verlorenem Posten.

Angst vor der eigenen Courage?

In seiner bisher einjährigen Amtszeit musste Christian Kern bereits einiges an Kritik einstecken. So etwa für den Umstand, dass er bei einigen Ankündigungen einen Rückzieher machte. Zum ersten Mal deutlich wurde das beim Freihandelsabkommen bei CETA, über das er erst verkündete, Österreich würde zu den damaligen Bedingungen nicht zustimmen. Kerns Bedenken diesbezüglich schienen jedoch nicht allzu groß gewesen sein, denn es bedurfte nur ein einstündiges Treffen mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, um Kerns Ressentiments zu beseitigen und seine Zustimmung zum Freihandelsabkommen zu geben. Dies sorgte für Häme auf Seiten der politischen Gegner und für Enttäuschung unter Kerns Anhängern. Der endgültige Abschluss von CETA wurde dann doch erst mit einiger Verzögerung vereinbart - allerdings nicht wegen Österreich, sondern aufgrund des Widerstandes von Wallonien.

Eine ähnliche Situation ereignete sich im Mai, kurz nach dem bekannt wurde, dass Sebastian Kurz, Reinhold Mitterlehner als Spitzenkandidat ablösen würde und Neuwahlen für Herbst ankündigte. Der Bundeskanzler erkannte wohl, dass koalitionstechnisch das Kind in den Brunnen gefallen war und kündigte an, dass die SPÖ dem Antrag der Grünen bezüglich der Einführung der "Ehe für Alle" zustimmen würde. Der Respekt vor der ÖVP, die sich gegen die Ehe für alle positioniert, war letztendlich wohl doch zu groß, denn trotz dieser Eröffnung stimmte die SPÖ trotzdem dagegen - obgleich sie den Antrag der Grünen prinzipiell befürwortet.

Immerhin gelang es Kern und der SPÖ sich beim Thema "Ehe für alle" letztendlich doch, sich von der Leine der ÖVP loszureißen. Ende Juni 2017 reichten die Sozialdemokraten einen Antrag auf Fristsetzung im Parlament ein. Dieser sollte bewerkstelligen, dass ein neuer Gesetzesentwurf zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare bis September ausgehandelt werden würde. Zwar wurde dieser Antrag abgelehnt - die ÖVP, die FPÖ und das Team Stronach stimmten dagegen - doch immerhin konnte die SPÖ ein Zeichen setzen und möglicherweise auch wieder Teile der Wählerschaft etwas milder stimmen. Dass die Debatte um die Ehe für alle nur einen Tag, nach dem Christian Kern von einer jungen Zuseherin auf das Thema in einem TV-Interview angesprochen wurde, neu angeheizt wurde, dürfte wohl ebenfalls kein Nachteil sein.

Kerns Abgrenzung vom populistischen Wahlkampfstil

Kerns Auftreten in der Öffentlichkeit war nicht frei von Fettnäpfchen. So war seine Aktion, für einen Abend als Pizzalieferant durch Wien zu tingeln, gefundenes Fressen für die Social-Media-Userschaft, der es niemals langweilig wird, die immer gleichen Kalauer auch nach Jahren immer wieder zu bemühen. Auf den Socia-Media-Seiten der politischen Mitbewerber und Boulevardmedien ist Christian Kern seitdem als "Pizzakanzler" bekannt.

Doch als Spitzenpolitiker ist man fehl am Platz, wenn man sich von solchen Entwicklungen aus dem Konzept bringen lassen würde. Neben seinen stärksten Konkurrenten Sebastian Kurz und H.C. Strache, die sich gegenseitig mit abenteuerlichen Wahlversprechen (O-Ton Sebastian Kurz: "Ambitioniert aber machbar") überbieten, hat Kern eine andere Nische für sich entdeckt: Die des betont rationalen Ruhepols. Da "Populismus" seit Jörg Haider noch immer ein Unwort ist, das zwar gerne praktiziert und dennoch stets angeprangert wird, kann sich dies möglicherweise als Kerns großer Pluspunkt herausstellen, denn die vollmundigen Versprechungen der Mitbewerber könnten bei so manchem Wähler auf Skepsis stoßen. 

Doch nicht nur im Stil auch inhaltlich setzt sich Kern deutlich von Strache und Kurz ab:

Die Kern - Außenpolitik

Solidarität der EU-Länder bezüglich Flüchtlingskrise

Kern sieht die Schließung der Mittelmeerroute als unrealistisch an. Bezüglich der Migrationspolitik plädiert er vor allem auf Solidarität der EU-Staaten und dass Länder, die sich bisher geweigert haben, Flüchtlinge aufzunehmen, stärker zur Verantwortung gezogen werden.

Migration: Obergrenze

Betreffend der Migration nach Österreich steht Kern hinter dem Konzept der Obergrenze, wonach lediglich eine bestimmte Anzahl an Migranten und Flüchtlingen nach Österreich zuwandern darf. Gefordert wird zudem der Wille zur Integration: wer sich nicht anpassen will, der soll, so steht es auf der Website der SPÖ, auch wieder gehen. Um erfolgreiche Abschiebungen zu gewährleisten, sollte verstärkt auf Kooperationen und Rückschiebeabkommen mit den Herkunftsländern gesetzt werden.

Innenpolitik - Kernspaltung?

Was die Innenpolitik angeht, so bringt man Christian Kern vor allem mit dem "Plan A" in Verbindung. Welche Themen damit abgedeckt werden, im Folgenden:

Ausbau des Sozialsystems durch Vermögens- und Erbschaftsteuer

Ein heißer Punkt im Wahlkampf der SPÖ ist das Thema Pflege. Die SPÖ will die finanzielle Belastung  für Pflegebedürftige und ihre Angehörige eindämmen. Ein erster Schritt dafür sollte die Abschaffung des sogenannten "Pflegeregesses" sein, bei dem in der Vergangenheit die finanziellen Mitteln der Angehörigen zur Abdeckung der Pflegekosten angezapft werden konnten. Um die finanzielle Erschwinglichkeit für die Pflege zu bewerkstelligen, spricht sich Kern für eine Vermögens- und Erbschaftssteuer aus.

Fünf-Punkte-Plan gegen Arbeitslosigkeit

"Vollbeschäftigung" - welche Regierung träumt nicht davon? Um ihr Ziel "Nie mehr hocknstad" zu erreichen, hat die SPÖ einen Fünf-Punkte-Plan ausgearbeitet:

  • Maßnahmen gegen die strukturelle Jugendarbeitslosigkeit
  • Anhebung der Ausbildungsgarantie von 18 auf 25 Jahre
  • Ausbildungsmöglichkeiten für ältere Menschen
  • Ausbau von sozialintegrativen Projekten für die Beschäftigung von älteren Menschen
  • Verbesserung der Chancen für Jugendliche und Frauen

Sieben-Punkte-Forderungskatalog für potentiellen Koalitionspartner

Für den Wahlkampf setzt Kern auf einen Katalog mit 7 Punkten, dem ein potentieller Koaltionspartner zustimmen muss. Dieser setzt sich folgendermaßen zusammen:

  •  1.500 Euro netto Mindestlohn
  • Abschaffung des Pflegeregresses und Ersatz durch Erbschafts- und Schenkungssteuer"
  • Senkung der Steuern auf Arbeit. Finanzierung durch Maßnahmen gegen die Steuerumgehungen von Großkonzernen
  • Rechtsanspruch auf Ganztags-Kinderbetreuung
  • 5.000 Lehrer und 2.500 Polizisten mehr
  • Abschaffung von "staatlichen Luxuspensionen"
  • Verwaltungsreform

Sowohl im Stil und Inhalt versucht sich Christian Kern als Gegenpol zu Strache und Kurz. Sein Versuch, die Koalition zu retten und eine neue, produktive Arbeitsweise in der Regierung zu beschwören erwies sich als gescheitert. Ob er dennoch bei den Wählern punkten kann und auch in der nächsten Regierung wieder mitmischt, wird sich im Herbst zeigen.

Weitere Interviews mit den Spitzenkandidaten

Die Nationalratswahl 2017 im Überblick

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