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Wie Eliud Kipchoge in Wien Weltgeschichte schrieb
Die Prater Hauptallee wurde zur Arena für einen Mann
No Human is Limited – unter diesem Motto nahm sich Eliud Kipchoge dieses Jahr vor, eine Marathonstrecke unter der zwei Stunden-Schallmauer zu absolvieren. Was es dafür brauchte war Planung bis ins kleinste Detail, Selbstdisziplin und die idealen Bedingungen.
Vor der 1:59 Challenge im Wiener Prater hatte Eliud zusammen mit zwei anderen Runnern bereits den Versuch gewagt. Damals, beim Nike Breaking Two Project, verfehlte er sein Ziel um 25 Sekunden. Man observierte, lernte aus dem ersten Anlauf und verbesserte, wo es was zu verbessern gab.
Zwei Jahre später schuf man auf der Prater Hauptallee die perfekten Bedingungen. Alles wurde akribisch geplant, beobachtet und umgesetzt – und Kipchoge lieferte. In Hochleistung rannte der aus Kenia stammende Spitzensportler eine Mindestgeschwindigkeit von 21.079 Km/H. Das sind mindestens 2:50 Minuten pro Kilometer über die gesamte Strecke von 42.195 Kilometer.
Bis dahin galt eine Bestzeit unter zwei Stunden nur theoretisch als menschenmöglich
1991 wurde erstmals in einem wissenschaftlichen Paper die Hypothese belegt, dass ein Marathon unter zwei Stunden möglich wäre. Michael J. Joyner errechnete, dass eine Bestzeit von 1:57:48 bei Idealbedingungen möglich ist. Dabei spielen drei Werte eine wesentliche Rolle: die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2Max), die Anaerobe Schwelle und die Laufbedingungen.
Die maximale Sauerstoffaufnahme ist der Verbrauch von Sauerstoff bei Ausbelastung. Mit Ausbelastung ist die subjektive Schmerzgrenze gemeint und die maximale Sauerstoffaufnahme wird in Milliliter Sauerstoff pro Minute berechnet. Das V steht für Volumen, O2 für Sauerstoff und Max für Maximalwert. Sobald der Körper mehr Laktate produziert, als er abbauen kann, ist die Anaerobe Schwelle überschritten. Das kennen wir als Muskelbrennen und in der weiteren Folge als Muskelkater.
Maximale Sauerstoffaufnahme, anaerobe Schwelle und perfekte Laufbedingungen sind die relevanten Variablen
Laktate sind Salze, welche vom Vater der modernen Chemie Jöns Jakob Berzelius im Jahr 1808 entdeckt wurden. Sie bilden sich dann, wenn unser Körper unter Belastung mehr Energie benötigt und Zucker in Milchsäure umwandelt. Aus der Milchsäure gewinnt der Körper während dem Sport wiederrum Energie, es bleibt aber „Asche“ übrig – die Laktate. Der Ball liegt abermals beim Körper, die Reste der Verbrennung abzubauen.
Um die Werte so zu trimmen und zu perfektionieren, dass ein Marathon unter zwei Stunden möglich ist, braucht es eine menge Zeit, viel Training und eine ideale Diät. In der Sportwelt ging man bis Kipchoges Challenge eigentlich nicht davon aus, dass jemand die zwei Stunden-Schallmauer so früh durchbrechen würde.
Zwei Stunden Marke wurde schneller geknackt als erwartet
Man glaubte eher, dass es erst eine ganze Reihe an Annäherungen von verschiedenen Spitzensportlern geben würde, allesamt im Bereich von 2:01 oder 2:03 Stunden, denn selbst diese Werte wurden bisher von wenigen Sportlern erreicht. Dass Kipchoge seine Bestzeit zu dem damaligen Nike Breaking Two Projekt um 45 Sekunden verbessern konnte, kommt dementsprechend einer Mondlandung gleich.
Zum Vergleich: unter Wettbewerbsbedingungen liegen die offiziellen Bestzeiten laut IAAF, dem internationalen Leichtathletikverband, irgendwo zwischen 2:01 und 2:05 Stunden. Neben Kipchoge gibt es nur einen weiteren Mann, der jemals einen Marathon unter 2:02 gelaufen ist: Kenenisa Bekele aus Äthiopien.
Kipchoges Glück: nicht zur Olympiade 2012 mitgenommen zu werden
Doch was war nötig, um diesen Erfolg zu erreichen? Kipchoge, geboren am 5. November 1984, hatte sich vorher einen Namen durch Track-Running gemacht und gewann einige Medialen während den olympischen Spielen. Für die Olympiade 2012 wurde er jedoch nicht in das kenianische Team aufgenommen und entschied sich für eine Neuorientierung: vom Track-Running zum Street-Running. Innerhalb kürzester Zeit gewann er Medaillen im Halb- und Vollmarathon und räumte ab, wo es nur ging. Er hatte seine Königsdisziplin gefunden und zugleich die größte Herausforderung für sich selbst: die zwei Stunden-Schallmauer.
Sechs Tage die Woche trainieren, einen Tag Familie
Als er sich entschied die zwei Stunden Marke noch einmal anzugehen, begann er ein Intensivtraining in Kenia, auf 2.500 Metern Höhe. Das Trainingscamp dort ist für ihn wie eine zweite Heimat, seit 17 Jahren kehrt er regelmäßig dorthin zurück. Der Körper und die Lunge gewöhnen sich an den niedrigen Sauerstoffgehalt auf dieser Höhenlage, im Umkehrschluss benötigt der Körper weniger Sauerstoff und performt besser in niedrigen Gefilden. Zur Erinnerung: das Wiener Null, die Referenzhöhe der Stadt, liegt bei 156,68 Metern über der Adria.
Dort lief er im Schnitt 225 km, 6 Tage die Woche. Das entspricht 5 Marathonläufen, alles auf ungeteerten Straßen und Trampelpfaden. Am siebten Tag fuhr er zu seiner Familie in das 30km entfernte Eldoret, jeden anderen Tag jedoch verbrachten er und sein Team mit essen, schlafen und trainieren. Eine Besonderheit während des Trainierens war sein Drill auf Geschwindigkeit – eine unübliche Strategie bei Langstreckenläufern, die eher ein langsameres Tempo bei längeren Trainingseinheiten bevorzugen.
Wien war aufgrund des Klimas idealer Austragungsort
Im Vorhinein wurde nach einer perfekten Location für den Run gesucht, wichtig waren dabei vor allem ein feuchtgemäßigtes Klima und Temperaturen zwischen elf und zwölf Grad Celsius, Kipchoges Idealbedingungen. Neben Wien stand noch London zur Debatte, da beide Städte perfekte klimatische Bedingungen vorweisen konnten und ihre Zeitzonen nah an der kenianischen Zone lagen. London sagten ihm und seinem Sponsor, dem Chemiekonzern Ineos, schlussendlich jedoch ab, woraufhin nur noch die Hauptstadt Österreichs übrig war.
Die Prater Hauptallee würde sich für das Event hervorragend eignen, die Straße ist auf beiden Seiten begrünt und sie verlauft nahezu flach vom Lusthaus bis zum Praterstern, die gleichzeitig perfekte Umkehrpunkte für den Marathon sein würden.
Der Startschuss wurde vom Wetter abhängig gemacht
Kipchoges Idealklima würde in Wien vor allem im Oktober vorherrschen, also entschied man sich das Event für den 12 – 20 Oktober anzukündigen. Die Zeitspanne wurde absichtlich so breit gewählt, auf der einen Seite wollte man mehrere Versuche möglich machen, auf der anderen konnte so der ideale Tag mit den idealen klimatischen Bedingungen abgepasst werden. Doch so lange würde man gar nicht brauchen, Samstag morgen waren die klimatischen Bedingungen bereits ideal, der Startschuss wurde für 8:15 angesetzt.
Die Strecke kannten Kipchoge und sein Team bereits seit August – damals fand auf der Hauptallee das Testwochenende für den großen Anlauf statt. Zwischenzeitlich wurde die Strecke sogar komplett neu geteert für den Rekordversuch, finanziert durch den Sponsor Ineos. Dieser gab für das gesamte Projekt einen zweistelligen Millionenbetrag frei, um nicht nur die Infrastruktur und die Bedingungen zu schaffen, sondern auch um das Team und Kipchoge zu finanzieren.
Sponsor Ineos teerte Prater Hauptallee und gab Finanzen in Millionenhöhe frei
Insgesamt 20 Pacemaker standen Kipchoge während dem Rennen zur Seite. Allesamt Spitzensportler und Medaillengewinner diverser Olympiaden oder anderen Spitzenevents, stiegen sie während dem Lauf immer wieder aus und ein, wechselten sich ab und stellten den Referenzrahmen für Kipchoge. Noch dazu bildeten sie eine V-Formation um ihn herum, um ihn vor Wind zu schützen. Dies ist mitunter der Hauptgrund, warum die Spitzenzeit dennoch nicht als offizieller Weltrekord gilt. In einem offiziellen Wettkampf dürfen maximal drei Pacemaker pro Läufer mitrennen. Steigen sie einmal aus, dürfen sie nicht wieder einsteigen.
Unter Laborbedingungen schaffte Kipchoge den Marathon unter 2 Stunden
Während des Laufs fuhr vor den Pacemakern ein E-Auto, dass mit einem Laser und einer Genauigkeit von 0,2 Metern die ideale Laufstrecke wie auch Geschwindigkeit vorgab. Hinter Kipchoge folgte ein Team aus Radfahrern, das ihm Wasser reichte. Wenn er fertig war mit trinken wurden die Flaschen ausgemessen und sichergestellt, dass Kipchoge genau die richtige Menge trank.
Und der Erfolg gab ihnen recht. Kipchoge bewies an diesem Samstag, dass der Marathon unter 2 Stunden möglich ist. Kipchoge ist an jenem Oktober als erster Mensch in die Geschichte eingegangen, der 42.195 Kilometer unter zwei Stunden lief… beziehungsweise rannte.
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