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Kulturkampf in Wiener Schulen

Jeder zweite Schüler in Wien hat bereits einen Migrationshintergrund. Lehrkräfte und Schuldirektoren warnen: Der Einfluss des Islam werde größer, viele muslimische Schüler würden sich immer weiter von der Gesellschaft entfernen.

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In vielen Klassenzimmern tobe ein Kampf der Kulturen. Religiös motivierte Konflikte gehörten mittlerweile zum Schulalltag. Während die Politik die Probleme als bedauerliche Einzelfälle herunterspielt, warnen immer mehr Lehrer vor einem Kollaps des Schulsystems.

Viele fühlen sich machtlos und von der Schulbehörde im Stich gelassen. Doch kaum jemand wagt den Schritt an die Öffentlichkeit. Schon gar nicht, wenn man zur sozialdemokratischen Lehrerfraktion gehört. Zu groß ist die Angst vor negativen Konsequenzen im rot-grün regierten Wien. Susanne Wiesinger, seit 25 Jahren NMS-Lehrerin in Wien-Favoriten, Österreichs größtem Schulbezirk, hat ihr Schweigen gebrochen.

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Im März 2018 tritt Wiesinger an die Öffentlichkeit und spricht über ihren immer schwieriger werdenden Schulalltag, vor allem hinsichtlich mangelnder Deutschkenntnisse vieler Schüler und gegenüber islamischen Einflüssen an manchen Brennpunktschulen.

Für ihre Schilderungen erhielt die langjährige sozialdemokratische Gewerkschafterin in Lehrerkreisen viel Zuspruch – allerdings mehrheitlich hinter vorgehaltener Hand. Wiesinger habe mit ihrer Kritik ja Recht, die Situation an vielen Schulen werde immer schwieriger, die Probleme seit dem Regierungswechsel würden nun aber noch öfter ignoriert und verschwiegen.

Schweigepflicht für Lehrer?

Offen darüber sprechen möchten viele Lehrer freilich nicht. Man sei nicht so mutig wie Frau Wiesinger, man würde dem beruflichen und privaten Druck nicht standhalten, habe Angst vor Konsequenzen. Diese Entscheidung ist einerseits nachvollziehbar, andererseits stützt man mit diesem Schweigen weiterhin ein Schulsystem, das sich noch immer mehr an parteipolitischen Interessen als an den Bedürfnissen von Schülern und Lehrern orientiert.

Dabei treten die von Susanne Wiesinger angesprochenen Probleme in Brennpunktschulen abhängig von der Lage und Größe der Schule sowie der sozialen und kulturellen Zusammensetzung der Schüler mit unterschiedlicher Intensität zu Tage. Ein Blick auf die Zahlen offenbart, warum Wien aufgrund seiner Größe anders ist und zeigt, inwiefern Sprache, Kultur, Religion und Herkunft von Schülern an vor allem öffentlichen Pflichtschulen zu einer immer größeren Herausforderung werden.

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Wiens Schulen sind anders

Der Anteil von Schülern mit nichtdeutscher Alltagssprache ist an Wiens öffentlichen Pflichtschulen seit 2006 kontinuierlich gestiegen. Am höchsten ist er an Hauptschulen bzw. deren Nachfolger, der Neuen Mittelschule. Drei von vier Schülern sprechen in ihrem persönlichen Umfeld nicht deutsch. In der Unterstufe der Gymnasien ist der Anteil mit 43 Prozent niedriger.

An Wiens öffentlichen Volksschulen spricht eines von drei Kindern im Alltag deutsch. An privaten Volksschulen hingegen ist Deutsch als Umgangssprache doppelt so häufig. Mehr als zwei von drei Schülern sind im Alltag deutschsprachig.

Diese sprachlichen Differenzen spiegeln sich in einer Prüfung der Lesekompetenz von 14-Jährigen wider: Aus den Daten des Nationalen Bildungsberichts zeigt sich, dass die Mehrheit der Wiener Schüler (55 Prozent) mit Migrationshintergrund das Soll nicht erreicht haben. Bei Wiener Schülern ohne Migrationshintergrund liegt der Wert bei 33 Prozent.

Wien hat zudem eine Ausnahmestellung, was den Anteil von Schülern in sogenannten „Brennpunktschulen“ betrifft. Für diesen Begriff gibt es zwar keine Definition, aber einen Näherungswert. Im Nationalen Bildungsbericht wird die soziale Belastung für allgemein bildende Pflichtschulen ausgewiesen. Faktoren dafür sind beispielsweise

  • Anteil der Eltern mit maximal Pflichtschulabschluss
  • Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund
  • Anteil der Schüler mit ausschließlich anderer Erstsprache als Deutsch
  • Der Berufsstatus der Eltern

Die Werte der Bundeshauptstadt unterscheiden sich gravierend vom bundesweiten Durchschnitt. Zwei von drei Kindern besuchen in Wien eine Schule mit hoher sozialer Belastung. In Österreich gesamt ist es weniger als jedes siebente.

Während in Wien acht Prozent aller Kinder eine Schule mit niedriger sozialer Belastung besuchen, sind es im bundesweiten Durchschnitt 54 Prozent.

Die Daten, die in diesen Index einfließen, sind öffentlich nicht verfügbar, besonders nicht auf Ebene einzelner Schulen. Ein Faktor, warum Wien hier so anders abschneidet als der Durchschnitt, ist der Anteil der Schüler mit Mitgrationshintergrund. In Wien haben 55 Prozent aller Pflichtschüler ihre Wurzeln im Ausland. In Kärnten etwa sind es 12 Prozent.

Als Anfang September die Schüler in die Klassen zurückkehrten, waren deutlich mehr Schüler mit islamischem Glaubensbekenntnis unter ihnen als vor zehn Jahren. Fast 35.000 Muslime besuchen nach Auskunft des Wiener Stadtschulrats eine Pflichtschule.

Dieser Artikel wurde zuerst auf der Website von Addendum veröffentlicht!

Quellen
Bilder: Addendum
Grafiken: Addendum

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